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Zauberreport Ausgabe Nov/Dez 1999

Gesamtkunstwerk Hertha

Show, Ausstellung, CD und Homepage: www.PlanetHertha.de

Exklusiv-Interview mit “Hertha Schwätzig” Astrid Gloria Irmer

“Das Leben ist hart, aber ich bin Hertha!” ist das Lebensmotto der Hertha Schwätzig, der Zauberin und Forscherin, ehemaligen “zaubernde Putzfrau”, die eine rasante und wirklich beeindruckende Karriere hingelegt hat. Mit ihren abendfüllenden Shows, einer einzigartigen Mischung aus Kabarett, Pop und Zauberkunst, hat sie sich fest in der deutschen Kabarett- und Kleinkunstszene etabliert und ist auf den besten Bühnen der Republik zu Hause. Die Kritik lobt sie in höchsten Tönen, preist ihre Schlagfertigkeit, ihre Herzlichkeit, ihren Witz und ihre Kreativität. Hertha ist ein “quicklebendiges Gesamtkunstwerk” (Kölner Stadtanzeiger), denn von ihr gibt es jetzt auch eine Kunstausstellung (zu sehen in Köln, Mainz und Berlin) und es gibt nun Hertha-Power auf  CD mit Songs und Livemitschnitten der Sketche und einem dicken, knallbunten Booklet mit Abbildungen der Werke. Hinter allem steckt “Kölns umtriebigste Musentochter” (Stadtrevue) Astrid Gloria Irmer, mehr als Grund genug für uns, Ihnen diese Ausnahmekünstlerin im Interview vorzustellen.

Zauberreport: Astrid, die meisten kennen Dich unter dem Namen “Hertha Schwätzig”, kannst Du Hertha für uns beschreiben?

Astrid: Fangen wir doch mit dem Äußeren an: Hertha erkennst Du an den hoch aufgetürmten Haaren, dem Stirnband, dem giftgrünen Lidschatten und ihren roten Apfelbäckchen. Hertha trägt Haute Couture aus Alltagsgegenständen, die sie sich auf ihre weiblichen Rundungen selbst entworfen hat, z.B. ein güldenes Lackdirndl aus Rettungsplane oder das Regenbogen-Veranda-Lacktischdecken-Kleid mit Topflappenbustier, heißen roten Plateau-Lackstiefeln und grüner Sicherheitsunterhose.

Zauberreport: Und wie sieht die Hertha-Show aus?

Astrid: Der Schwerpunkt der Show liegt auf dem kabarettistischen Teil, darüberhinaus gibt es eigene Songs, die extra für Hertha von Soundmaster Zeus J. Borrmann komponiert worden sind und eingestreute Zaubereffekte. Es ist eine Show, wie ich sie selber gerne sehen würde: abwechslungsreich, lustig und dennoch mit Gedanken, die sich lohnen weiterzudenken.
Die Show ist so aufgebaut, daß Hertha aus ihrem Leben erzählt, sie erforscht den Alltag und berichtet in ihrer Show das Neuste aus ihrer Hertha-Forschung, so entsteht ihre Zauberei. Hertha erläutert, z.B. anhand einer Francis-Tabary-Seilroutine das Thema Zeit oder sie läßt einen Tisch schweben, weil das bequemer ist beim Saubermachen und ihre Scheinerklärung dafür ist: “Das ist Gentechnologie! Hab unserm Hansi, des is unser Wellensittich das Flug-Gen rausisoliert und in den Tisch eingeplanzt - so ne Art Intarsienarbeit - ist doch praktisch oder?” In einer kabarettistischen Nummer macht Hertha sich Gedanken, warum Männer, die doch zu so großen kulturellen Leistungen fähig sind, immer noch in die Ecke pinkeln müssen - ob Männer ein zusätzliches Struller-Gen haben? Hertha macht Feldforschung und entdeckt auf einer Sequenz des Y-Chromosoms eine Mutation, sie nennt diese Entdeckung die “Macho-Mutation”, welche u.a. bei Männern zu verstärktem Haarndrang führt, “aber net innerhalb eines Gebäudes, sondern drauße - des is so ne Art Open-Air-Inkontinenz”.

Zauberreport: Wie kamst Du auf Hertha?

Astrid: Nun, Hertha ist eine Kunstfigur im besten Sinne oder man könnte auch sagen, Hertha ist mein künstlerisches Thema. Hertha ist eine Zauberin, die auf der einen Seite sehr schrill ist, aber trotzdem auf der anderen Seite etwas Mütterliches hat. Machmal habe ich das Gefühl mit Hertha nicht einen Charakter erschaffen, sondern nur etwas wiederentdeckt zu haben, nämlich einen alten Archetypus, der uns verschüttet gegangen ist. Ich möchte mit Hertha einen neuen (uralten) Zauberinnentypus einführen, jenseits der weiblichen Showacts mit Netzstrumpfhosen und Frackoberteil, sondern eher anknüpfend an alte Kulte mit weiblichen Gottheiten, die ja auch alle das Attribut hatten, zaubern zu können, egal ob nun die altägyptische Isis, die germanische Freya , die indische Kali-Durga usw. Es ist schon eine Überlegung wert, ob die Verdrängung der alten Göttinnen und die sogenannte Hexenverfolgung, die ja die letzten Reste nichtchristlicher Kulturen ausrotten sollte, nicht auch etwas damit zu tun haben, daß es so wenige zaubernde Frauen gibt. Die Assoziation, daß eine Frau, die zaubert, eine Hexe sei, schwingt ja auch heute immer noch mit.

Zauberreport: Was ist Deine Theorie, daß es so wenige zaubernde Frauen gibt?

Astrid: Ich denke, die Zauberkunst spiegelt da unsere Gesellschaft: Der Mann im Mittelpunkt als Macher und die Frau als seine reizende Assistentin - auf der Bühne genauso wie im Büro. Es tut mir immer wieder weh zu sehen, wie Frauen bei Zaubershows “verwendet” werden. Sie kommen mir oft vor, wie ein lebendes Requisit, daß zerstückelt, zersägt oder bestenfalls schweben gelassen wird. Mich erstaunt es immer wieder, daß Frauen so mit sich umgehen lassen. Außerdem hat Zauberkunst  auch viel mit “geheimen Wissen” zu tun, von dem Frauen aufgrund ihres Geschlechts systematisch ausgeschlossen wurden, denn jeder weiß: Wissen ist Macht. Wenn man bedenkt, daß Frauen erst um die Jahrhundertwende zum normalen Hochschulstudium zugelassen wurden, so sind wir doch schon ein gutes Stück vorangekommen.

Zauberreport: Ist Hertha eine Emanze?

Astrid: Hertha symbolisiert für mich die Lebensfreude und die Lust am Leben und am Erforschen. Sie ist eine Frau, die mit beiden Beinen im Alltag steht, aber trotzdem den Kopf frei hat für verrückte Ideen und die konsequent ihren eigenen Wünschen und Gedanken nachgeht. Dadurch durchbricht sie vorgegebene Rollenklischees und Normen ohne dabei den Spaß am Leben zu verlieren. Hertha ist für mich eine lebensfrohe Kämpferin, die dafür einsteht, daß jeder sein Leben so leben sollte, wie er oder sie gerne möchte.

Zauberreport: Daher auch Deine Affinität zur schwulen Szene?

Astrid: Ich bin gerne mit Menschen zusammen, die ihr Leben bewußt gestalten und ein Coming-Out hinter sich haben, in dem sie über sich selbst reflektierten und bewußt gesagt haben: Ich weiche vom vorgeschriebenen Lebenspfad ab und lebe mein eigenes Leben, sei es nun in sexueller, künstlerischer, beruflicher oder spiritueller eigener Richtung. Deshalb fühle mich in der schwulen Szene sehr wohl, fühle mich dieser wunderbar verrückten gay community sehr verbunden und habe dort auch viele Fans. Gerne erinnere ich mich auch an die Shows mit den Pink Wizzards! In den Kursen von Christoph, dem Magier, aus Hamburg habe ich ja angefangen zu zaubern als ich dort studierte.

Zauberreport: Wie war überhaupt Dein Werdegang in zauberischer und beruflicher Hinsicht?

Astrid: Für Zauberkunst habe ich mich als Kind schon interessiert, bin dem aber nicht weiter nachgegangen, denn ich bin in einem kleinen Dorf bei Gießen aufgewachsen, dort war das dörfliche Leben in den Kindergruppen sehr stark dogmatisch-evangelisch geprägt, mit Kindergottesdienst und so. Ich erinnere mich, daß ich die Leiterin eines Tages fragte, ob ich zaubern dürfte und sie mir sagte, daß Gott dies nicht gefallen würde und ich es besser lassen sollte, da Zauberei im Alten Testament verboten sei. Mein Interesse an der Zauberei ist aber geblieben. Als Jugendliche habe ich mich dann mit metaphysischen Dingen beschäftigt, aber war auch politisch tätig, habe Theater gespielt und hab Schülerzeitung gemacht. Dann habe ich Geschichte, Journalisik und Germanistik studiert zunächst in Gießen, dann bekam ich mein Hochbegabtenstipendium und studierte in Bonn, Hamburg und Norwich (Großbritanniern). Ich habe zwei Abschlüsse: Master of Arts (1991 in Norwich) und Magister Artium (1993 in Hamburg).
Als ich im Wintersemester 87/88 nach Hamburg kam, entdeckte ich im Kulturprogramm des AStA einen Zauberkurs von Christoph, dem Magier, neben Stepptanz- und Kochkursen. Endlich, dachte ich, hier kriegst du Gelegenheit, dich mit Zauberkunst zu beschäftigen. Das erste was wir einstudierten war eine Kartenroutine; am Anfang hatte ich es etwas schwer in der Gruppe, doch als ich als einzige, den Einhandkartenfächer schlagen konnte, war der Bann gebrochen (grinst). Dieser berühmte “magic bug” hatte mich gebissen. Ich kratzte mein ganzes Geld zusammen, um zur FISM nach Lousanne fahren zu können, wurde Mitglied bei den Magischen Nordlichtern, war teilweise dort auch im Vorstand, nahm später bei Zauberwettbewerben teil und wurde Mitglied im Magischen Zirkel und der IBM. Hertha machte ihre ersten Schritte 1990 zusammen mit Berta (alias Uschi Linke aus Hamburg) als “Hertha und Berta, die zaubernden Putzfrauen”. Wir traten zunächst auf Geburtstagsfeiern und andern Festen auf und robbten uns dann ran ans Schmidt-Theater, Hamburg. 1992 trennte ich mich von Uschi und entwickelte kurze Soloprogramme. Nach dem Studium entschloss ich mich, hauptberuflich ins Showgeschäft einzusteigen und machte im Mai 1993 Premiere mit meinem ersten abendfüllenden Soloprogramm im Hamburger Fools Garden bei Hanne Mogler, nahm Schauspiel- und Gesangsunterricht, spielte viel in der Schmidt Mitternachtsshow und gründete zusammen mit anderen Kabarettistinnen und Komikerinnen die “FrontFrauen”. Wir machten Revuen in allen großen Städten und es war für mich sehr schön, mich mit anderen Frauen auszutauschen, die auch im Theatergeschäft professionell tätig waren. Im Mai 1994 lernte ich meinen Partner, den Komponisten Zeus J. Borrmann kennen. Ich spielte im Stollwerck Köln, er machte dort Licht- und Tontechnik. Es hatte sofort “gefunkt” und seither arbeiten und touren wir zusammen. Zeus ist zuständig für die Licht- und Soundeffekte und die Songs und wir haben inzwischen schon über 500 Shows in ganz Deutschland gemeinsam realisiert.

Zauberreport: Ihr habt ja jetzt auch eine eigene CD produziert?

Astrid: Ja, wir sind sehr stolz, unsere erste CD ist fertig! 70 Minuten Hertha-Power! Auf der CD sind sechs groovende Songs, davon vier von Hertha, ein Crossover von Rock und HipHop (der Gießener Anzeiger nannte mich übrigens “eine rappende Nina Hagen”, was mich natürlich sehr gefreut hat) und zwei Songs von Norbert: Er ist Herthas Göttergatte, über den sie immer lästert und der endlich auferstanden ist aus dem Fernsehsessel und jetzt die Original-Elvis-Presley-Schlappen trägt. Das sind zwei wunderbare Rock ´n´ Roll-Nummern, in der Show mache ich Norbert als Zugabe, eine Art Elvis-Parodie, also “Travestie verkehrt”, nämlich eine Frau in Männerklamotten.
Der Schwerpunkt der CDs liegt aber auf den Texten, es ist ein Live-Mitschnitt aus dem Neuen Theater Höchst in Frankfurt und die Aufnahme bringt so richtig Hertha-Power rüber! Ganz besonders stolz sind wir auch auf das Hörspiel: “Die Hochzeit zu Kanaa” oder “Maria - die wahre Geschichte”, wo Hertha als Maria erzählt, was damals wirklich geschah. Im Bühnenprogramm erlebt das Publikum ja nicht nur eine leibhaftige Marienerscheinung, nein, ich verwandele auch noch Wasser zu Wein (ich dachte, ich mach mal ein paar Klassiker - grins - und habe damit auch schon Zauberer gefoolt!) und in Likörchen. Die Flaschenvermehrung mache ich in diesem Zusammenhang als das Original-Wunder-zu-Kana Teil II. (apokryph). Diese Nummer ist auf der CD als Hörpiel (natürlich ohne Flaschenvermehrung, die gibts nur in der Show, da sie eher visuell ist).

Zauberreport:Und was hat es mit der Kunstausstellung auf sich?

Astrid: Schon lange hatte ich die Idee einer Kunstausstellung in den Theater-Foyers wo ich spiele, weil ich es gerne mag, wenn man als Zuschauer auch vor der Show und in der Pause was zu gucken hat. In den Werken habe ich versucht, den flüchtigen Moment eines schönen Kabarettabends einzufangen und zu vertiefen. Grundlage waren Fotografien von mir als Hertha u.a. von Michelle Spillner und Thomas Otto, bei denen ich mich hiermit auch nochmal ganz herzlich bedanken möchte. Diese “Action-Shots” habe ich mithilfe moderner Computertechnik digital bearbeitet und großformatig und knallbunt ausgedruckt. Herausgekommen ist sozusagen “digitaler Impressionismus”, wie die Presse die Werke getauft hat. Die Bilder finden sich übrigens auch im CD-Booklet wieder, das sozusagen der Katalog zur Ausstellung ist. Außerdem gibt es zu jeder CD drei Wünsche! Ich dachte für eine Zauberin ist das wohl mehr als angemessen (lacht).
Die CD kostet 25,-DM und man kann sie bestellen übers Internet unter www.PlanetHertha.de. Dort gibt es auch MP3-Audio-Files zum Probehören und weitere Infos zum Projekt Hertha. Wer Interesse hat, kann sich dort auch in den Verteiler für den Hertha-Newsletter aufnehmen lassen und bleibt so immer auf dem Laufenden.

Zauberreport: Wie sind Deine Zukunftspläne?

Astrid: Jetzt gehen wir auf große Herbsttour bzw sind schon mittendrin. Wir haben gerade eine sehr erfolgreiche Woche im Senftöpfchen hinter uns mit Show und Ausstellung (die dort für drei Monate hing). Jetzt war gerade das 40jährige Senftöpfchen-Jubiläum, wo ich die Ehre hatte in einer großen Gala zusammen mit Hanns-Dieter Hüsch, Konstantin Wecker, Götz Alsmann, Konrad Beikircher, Höhner, Bläck Föös u.a. aufzutreten. Für Herbst nächsten Jahres planen wir eine neue Show und ich bin sehr gespannt, wie sich alles weiter entwickeln wird!

Zauberreport: Das sind wir auch und wünschen alles Gute für eine zauberhafte Zukunft.


Das Interview führte Alfred Czernewitz