IM GESPRÄCH: ASTRID GLORIA IRMER
DS-Reihe: Glück »Genieße dein Leben!«
Ihr kabarettistisches Alter Ego heißt Hertha Schwätzig und ist eine schrille, verspielte Philosophin. Ihre Lehre: Seid einfach glücklich, liebe Leute, und schämt euch nicht dafür!
VON MONIKA GOETSCH
»Das Leben ist hart, aber ich bin Hertha!« Unter diesem Motto tritt Astrid Gloria Irmer seit 1993 als Zauberin, Kabarettistin und Sängerin auf. Geboren wurde sie 1966 in Gießen, ging dort zur Schule, studierte Geschichte, Journalistik und Germanistik in Norwich und Hamburg. Sie gründete die »FrontFrauen« und war auf vielen Kabarettfestivals zu Gast. Sie ist Mitglied in der »Internationalen Bruderschaft der Magier«
Wie lange kann man sich eigentlich über seine eigenen Witze amüsieren?
Astrid Gloria Irmer: Immer wieder aufs Neue. Die Kunst ist ja, die Texte, Gedanken und Gags Abend für Abend neu entstehen zu lassen. Jede Show ist anders, weil das Publikum sich immer anders zusammensetzt und ich mir auf der Bühne auch Freiraum für Improvisationen lasse. Da entstehen wirklich magische Momente. Ich liebe es auch, wenn ich so vor dem Einschlafen über mein Hertha-Projekt nachdenke und mir dann ein guter Gag einfällt, ich mir also quasi selbst einen neuen Witz erzähle. Dann muss ich richtig gut lachen.
Das Publikum bringen Sie als Hertha Schwätzig zum Lachen. Warum?
Irmer: Das Lachen ist eine sehr starke Kraft. Es erleichtert, befreit, ermöglicht neue Einsichten und gibt Kraft. Hertha ist eine schrille, bunte, hausfrauliche Powerfrau, die das Leben erforscht und genießt. Sie kann zaubern und hat den Kopf in den Sternen. Aber sie ist auch sehr bodenständig und will wissen, warum etwas ist, wie es ist.
Sind Sie Hertha?
Irmer: Nein. Hertha ist eine Kunstfigur, der künstlerische Ausdruck meiner Philosophie. Sie ist eine konsequente Vertreterin des Prinzips der Lebensfreude und symbolisiert eine heitere, positive, bunte Kraft, der ich auf der Bühne meinen Körper leihe. Mir kommt es oft so vor, dass ich Hertha nicht erfunden, sondern nur gefunden habe beziehungsweise dass Hertha mich gefunden hat.
Soll Hertha erziehen?
Irmer: Die wichtigste Botschaft von Hertha ist: Genieße dein Leben. Mit ihr möchte ich humorvoll Normen in Frage stellen.
Und das kommt an?
Irmer: Ja, Hertha ist wirklich ein toller Erfolg! Manchmal höre ich hinterher von Leuten aus dem Publikum, dass ihnen Hertha Mut gemacht hat. Zum Beispiel Mut, kreativ zu sein. Oder Mut, nicht ständig auf Diät zu gehen. Das freut mich sehr. Die Menschen mögen an Hertha vor allem ihre Herzlichkeit, ihr erfrischendes, liebes Lachen, aber auch ihre bunte Schrillheit, ihre verrückten Ideen, ihre gescheiten Gedanken und natürlich ihre Power.
Ihr Spruch heißt: Das Leben ist hart, aber ich bin Hertha.
Irmer: Stimmt, das ist Herthas Lebensmotto. Ich denke, wir sind hier, um unser Leben auf fröhliche Art zu meistern und uns nicht verbittern zu lassen.
Wie schafft man das?
Irmer: Ganz wichtig ist, sich auf das Positive zu konzentrieren. Auch wenn das Negative manchmal so übermächtig scheint. Mehrmals im Jahr trete ich bei Benefizveranstaltungen auf für Aidskranke oder Frauen, die an Brustkrebs leiden. Als Hertha frage ich dann: Kann man sein Leben eigentlich erst genießen, wenn man die Diagnose Krebs hat oder Aids? Oder geht das schon vorher? Eine Krankheit lässt ja das Leben endlich und jeden Tag kostbar erscheinen. Dabei ist es doch sowieso endlich und kostbar. Für uns alle kommt früher oder später der Zeitpunkt, wo wir uns verabschieden müssen. Ich bin der Auffassung, dass jeder täglich selbst entscheiden kann, ob er sein Leben als Leiden und Last oder als Geschenk empfinden möchte.
Das geht nicht immer.
Irmer: Natürlich nicht. Aber sehr oft kann ich mich entscheiden, ob ich glücklich sein oder mich ärgern will. Als ich gestern im Zug saß, stieg eine Frau zu. Der Zug hatte extra auf ihren gewartet. Statt sich darüber zu freuen, schimpfte die Frau über die Bahn und ihre Verspätungen und da- rüber, dass keine Klimaanlage im Abteil sei. Der Schaffner empfahl ihr, das Abteil zu wechseln, da im anderen Waggon die Klimaanlage intakt sei, aber sie schimpfte weiter. Weil sie ihre Situation überhaupt nicht ändern wollte!
Hertha hätte gute Laune gezeigt.
Irmer: Hertha vermittelt: Sieh die positiven Seiten. Dann fühlst du dich wohler.
Ist das nicht ganz schön oberflächlich?
Irmer: Nein. Ich finde es schade, dass Fröhlichkeit oft mit Oberflächlichkeit gleichgesetzt wird. Dabei gibt es lebensfrohe Menschen mit sehr viel innerem Tiefgang, genauso wie es jede Menge missmutige, übellaunige Menschen gibt, die extrem oberflächlich sind. Wenn man eine innere Heiterkeit zulässt, eine Art Grundvertrauen in das Leben, dann verlieren viele Ängste und Sorgen ihren Schrecken. Ein intensiveres Erleben wird möglich, da man sich dann eher traut, sich auf eine Situation oder ein Gefühl einzulassen. Ich finde, man sollte mit sich selbst umgehen wie mit einem guten Freund. Dabei darf man auch Fehler machen.
Wie haben Sie diese Haltung gelernt?
Irmer: Ich habe mich schon immer viel mit mir selbst beschäftigt. Seit meiner Kindheit forsche ich an der Frage nach dem Sinn des Lebens und interessiere mich für Philosophie und Religionen. Schwierig an der christlichen Religion finde ich das Konzept der Erbsünde. Ein Konzept der Erbfreude fände ich viel besser. In meinem neuen Programm möchte ich Hertha als Eva auftreten und fragen lassen: Was ist das eigentlich für ein Gott, der uns die Erkenntnis verbietet?
Im Moment spielen Sie eine Maria, die nicht weint, sondern lacht.
Irmer: Ja. Es ist doch auffällig, dass, wenn mit einer Madonnenstatue ein Wunder geschieht, sie dann anfängt zu weinen und nicht etwa kichert oder laut lacht. Hertha fragt in diesem Zusammenhang: Wenn eine weinende Madonna schon so viel Kraft hat, wie viel Kraft hat dann erst eine lachende Madonna? Das Christentum fokussiert sich so auf das Leid, diesen Fokus möchte ich gerne verschieben. Hertha fragt sich auch, warum Jesus immer am Kreuz hängend dargestellt wird, wo er doch Wasser in Wein verwandelt hat. Man könnte ihn doch auch mal als eine Art Bacchus-Jesus mit Weinglas darstellen! Das Leben besteht nicht nur aus Leid.
Das weiß man doch. Schließlich heißt es, wir leben in einer Spaßgesellschaft, in der es nur um Fun und gute Laune und Jungsein geht.
Irmer: Das heißt es, ja. Aber geht es wirklich darum? Da sind doch ganz viele Normierungen und Zwänge im Spiel. Ich sehe eher, dass es in unserer Gesellschaft ein Tabu des Glücklichseins gibt. Man darf nur für kurze Zeit glücklich sein und auch nur dann, wenn bestimmte gesellschaftlich relevante Aufgaben erfüllt werden, zum Beispiel bei einer Hochzeit oder bei der Geburt eines Kindes. Außerhalb dieser erlaubten Glücksmomente ist Glück in unserer Gesellschaft an Konsum gekoppelt: ein neues Auto, ein neues Kleid. Ich würde mich freuen, wenn wir unseren Wert mehr darüber definieren, was wir sind, als über das, was wir besitzen.
Wann sind Sie denn glücklich?
Irmer: Möglichst oft. Ich übe mich täglich darin, Glücklichsein als Lebensgrundgefühl zu akzeptieren. Das gelingt mir natürlich nicht immer. Ganz grundsätzlich bin ich glücklich darüber, Künstlerin zu sein und den Mut gehabt zu haben, diesen Weg zu gehen. Außerdem macht es mich glücklich, beim Publikum mit dem anzukommen, was ich mir ausgedacht habe, und etwas zu bewirken. Am glücklichsten bin ich auf der Bühne und im kreativen, schöpferischen Prozess, wenn ich an neuen Hertha-Ideen arbeite, dann wird alles andere total unwichtig. Glücklich zu sein hat für mich viel mit Freiheit zu tun. Mit der Freiheit, sich entfalten zu können.
Woher wissen Sie das alles?
Irmer: Ich schaue, ich gucke, ich lebe, ich höre zu und denke viel nach. Ich liebe interessante Gespräche und diskutiere herzlich gerne über Gott und die Welt. Es gibt so viel Spannendes zu entdecken. Ich möchte jeden Tag etwas Neues lernen und versuche, mit möglichst offenen Augen durch die Welt zu gehen. Manchmal leide ich darum auch unter Reizüberflutung.
Was tun Sie dann?
Irmer: Ich lege mich hin oder gehe spazieren und versuche, mal gar nichts zu denken, einfach nur einzutauchen in den bunten Strudel des Seins.
Engt Hertha Sie manchmal ein? Die füllige, starke, immer kämpfende Superfrau ist ja eigentlich auch ein Klischee.
Irmer: Nein. Sie schenkt mir Möglichkeiten: Hertha kann auf den Mond fliegen, ich nicht. Sie ist viel schärfer und bunter und schriller als ich.
Fallen Sie so gern auf?
Irmer: Privat nicht. Auf der Bühne schon, das ist ja eine sehr exponierte Position. Da fällt man einfach auf, schließlich steht man ja im wahrsten Sinne des Wortes im Rampenlicht.
Warum stehen Sie da?
Irmer: Das ist meine Art, Politik zu machen. Meine Art, meine Ideen und Gedanken zu präsentieren. Es macht mir ungeheuer Freude, Leute zum Lachen zu bringen. Ich habe mich immer gern verkleidet. Während meines Geschichtsstudiums habe ich aus Spaß begonnen zu zaubern. Als ich sah, dass die Zauberkunst von Männern dominiert wird, hat mich mein feministischer Ehrgeiz gepackt. Da war ein unbeackertes Feld. Ich wollte die Zauberszene aufmischen. Zauberei ist eine sehr faszinierende Kunstform. Hertha entwickelte sich aus dem Gedanken heraus, eine Zauberin zu erschaffen und mit ihr die altehrwürdige Zauberkunst zu entstauben und in neuer Form zu präsentieren: schrill, fröhlich und kraftvoll. Meine Show ist in erster Linie ein Kabarett/Comedy-Programm mit eingestreuten Zaubereffekten, weitere wichtige Bestandteile sind die schrillen Kostüme, die Licht- und Soundeffekte und natürlich auch meine eigenen Popsongs.
Können Sie sich vorstellen, ein Leben lang zu touren?
Irmer: Klar.
»Es scheint eine Art Aberglaube zu geben, dass man für sein Glück bitter bezahlen muss«
Kann man denn in diesem Job alt werden?
Irmer: Ich denke schon. Ich freue mich sogar darauf, mit Hertha älter zu werden, denn sie wird jedes Jahr stärker und reift immer weiter heran, je mehr Erfahrung wir sammeln.
Familie haben?
Irmer: In diesem Leben nicht. Mein Kind ist Hertha. Das ließe sich nicht verbinden.
Geht es Ihnen denn wirklich ums Glück? Oder vor allem darum, intensiv zu leben?
Irmer: Mir geht es um ein Leben im Jetzt und Hier. Intensiv leben wird ja oft gleichgesetzt mit ausschweifendem Leben, mit exzessivem Drogenkonsum oder damit, immer an die eigenen Grenzen zu gehen. Das muss ich nicht. Mein Glück hat mit Grenzerfahrungen nicht viel zu tun. Man kann auch intensiv genießen, in der Sonne zu sitzen und Apfelsaftschorle zu trinken.
Und was tun Sie, wenn es Ihnen richtig schlecht geht?
Irmer: (lacht) Ich versuche mich wie Münchhausen am eigenen Schopf wieder herauszuziehen. Schicksalsschläge erleidet jeder, Krankheit und Tod gehören zum Leben leider dazu. Da ist es wichtig, offen für Schmerz und Trauer zu sein und das bewusst wahrzunehmen. Aber es ist genauso wichtig, darin nicht zu versacken.
Ist der Schmerz der Preis fürs Glücklichsein?
Irmer: Manche Sprichwörter klingen danach. Vögel, die am Morgen singen, holt am Abend die Katz, heißt es. Oder: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Es scheint in unserer Gesellschaft so eine Art Aberglaube zu geben, dass man für sein Glück bitter bezahlen muss. Das Sprichwort mit der Katze legt ja den Trugschluss nahe, besser nicht zu singen, damit die Katze einen verschont. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen sich nicht trauen, glücklich zu sein, weil sie Angst vor dem dicken Ende haben, was dann angeblich kommt.
Was meint Hertha dazu?
Irmer: Hertha würde fragen: Werden nicht auch die Vögel am Abend geholt, die am Morgen nicht gesungen haben?
Und Sie?
Irmer: Ich bin mir sehr bewusst, wie schnell alles vorbei sein kann. Und wenn die Katze kommt, dann möchte ich froh und stolz darauf sein, dass ich fröhlich zwitschernd durch die Welt geflattert bin und dabei mein eigenes Lied gesungen habe.
©DS - DEUTSCHES ALLGEMEINES SONNTAGSBLATT
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